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DOCUMENTS     About : Babylon Babies, Predigt (DE)

About : Babylon Babies, Predigt (DE)

March 30th 2003

Mitwirkende :
Dr Daniel Spanke (Leiter der Kunsthalle)
Bernhard Busemann (Pastor an der Christus- und Garnisonkirche)
Frank Morgenstern (Pastor an der Christus- und Garnisonkirche)
Musikalische Unterbrechung: Kirchenchor unter Leitung des Organisten und
Kantoren Uwe Mahnken
(Predigt am Sonntag LÄTARE in der Christus- und Garnisonkirche, 30.3.2003 Das 20. Babylon Baby)

Schon in der frühen Kirche in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten gab es heftige Auseinandersetzungen über die Erlaubtheit der Bilder im Christentum.
Ausgangspunkt war dabei nicht so sehr das alttestamentarische Bilderverbot, sondern die notwendige Absetzung des noch jungen Glaubens gegenüber den antiken heidnischenKulten, die alle auf Kultbilder ausgerichtet waren. Ein Kultbild ist ein Bild der Macht; ein Bild, das denjenigen, den es zeigt, so sehr vergegenwärtigt, als ob er selbst anwesend wäre. Auch von den römischen Kaisern gab es solche Bilder. Dem Kaiser gebührte nach römischer Rechtsauffassung eine quasi kultische Verehrung. Da der Kaiser nicht überall anwesend sein konnte, bildete das überall verbreitete Bild des Kaisers seinen Stellvertreter, dem es zu opfern galt. Einige der frühesten Märtyrer der Kirche wurden von Staats wegen umgebracht, weil sie dieses Kaiseropfer verweigerten. So wohl im 4. Jahrhundert eine ganze römische Armee, die thebäische Legion aus Ägypten unter Mauritius, die sich zum Christentum bekannte. Ihr Glaube verbot ihnen das Kaiseropfer, deshalb galten sie als dem Reich gegenüber illoyal und wurden standrechtlich hingerichtet. Diese Legion war in Mitteleuropa stationiert, die Gräber der thebäischen Legion, von Mauritius im Wallis, Ursus in Solothurn, Cassius in Bonn, Viktor in Xanten, Gereon in Köln und vielen anderen finden sich über die Schweiz und Deutschland verstreut.
Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist. So spricht Jesus auf die Frage nach der Verpflichtung des Gläubigen dem römischen Reich Steuern zu zahlen. Zugleich heißt es aber auch, dass man nicht zwei Herren dienen kann. Man muß sich entscheiden.

Wer ist nun dieser hier? Unser kulturelles Wissen sagt uns, Jesus ist hier jedenfalls nicht dargestellt: zu blond, zu kurzhaarig, ohne Bart und ohne einen Hinweis auf das Kreuz. Jesus ist es nicht. Und wir erfahren auch gar nicht, wen die belgische Künstlerin Marie-Jo Lafontaine, von der das Werk stammt, fotografiert hat. Das Bild dieses jungen Mannes gehört zu einer Serie von gleich großen Porträts von Jugendlichen und Kindern, alle ganz streng frontal ausgerichtet und vor farbigen Hintergründen, die die Künstlerin „Babylon Babies“ genannt hat. Für eine Kirche ist dieses Bild eigentlich nicht bestimmt, sondern für ein Museum, eine Kunsthalle, einen Ausstellungsort. Ist es deshalb fremd hier, fehl am Platze? Was gehört zu einer Kirche? Zuallererst wohl Gott und die Menschen. Und darüber findet sich doch sehr viel in diesem Bild, wenn auch ungewohnt und sehr herausfordernd. In der Kunsthalle Wilhelmshaven, gleich hier einmal den Adalbertplatz herauf, können sie noch 19 weitere dieser Bilder in der Serie sehen. Ich lade sie herzlich um 12.00 Uhr in die Kunsthalle ein, um sie dort mit einer Führung anzuschauen und zu diskutieren.
Der Vergleich, das darf ich Ihnen versprechen, ist höchst spannend.

Es hätte auch ein anderes Bild sein können. Marie-Jo Lafontaine hat 20 „Babylon Babies“ für die Ausstellung in die Kunsthalle gebracht, 19 hat sie aufgehängt. Dieses, das wir nun hier in der Christus- und Garnisonkirche zeigen, blieb übrig. Es hätte auch ein anderer hier hängen können. Obwohl das Gesicht des jungen Mannes nicht deutlicher zu sehen sein könnte, ist er für uns kein bestimmter – er bleibt anonym. Es ist merkwürdig, wie klar und monumental wir diesen Menschen hier sehen und wie wenig wir tatsächlich über ihn erfahren. So gewiß es ist, das es diesen Jungen tatsächlich gibt, so gewiß ist auch, das er nicht weiß, das sein Bild von 2 Metern 30 Höhe nun auf die Gemeinde einer Kirche beim Gottesdienst herabschaut. Seine Wirklichkeit, sein Leben, und unsere Erfahrung seines Bildes haben nichts miteinander zu tun. So suggestiv sein Blick auch ist, da gibt es keine Verbindung zwischen uns, die wir das Bild betrachten, und ihm, der fotografiert worden ist. In einer Kirche ist dies zweifellos eine irritierende Erfahrung, kann dies doch ein Ort der Suche und des Findens sehr besonderer persönlicher Verbindung sein. Nichts anderes heißt ja Religion – Rückbindung, re-ligio.

Daniel Spanke

Teil II: Was soll der hier?

Ein Bild oder ein Kunstwerk hat einen Ort. Ein Bild sucht einem Ort. Auch hier in der Kirche. Das monumentale Foto eines Menschen, hoch aufgehängt über dem Altar. Sollen wir den jetzt anbeten? Ist der so wichtig, dass der hier in seiner ganzen Größe und Farbenpracht hängen darf und alle Blicke auf sich zieht? Und das, obwohl er uns nichts von sich erzählt. Er verrät uns seinen Namen nicht, ist namenlos, anonym.
Das macht ihn austauschbar. Es wird deutlich: Grundsätzlich könnte jede und jeder von uns da hängen. Jede und jeder von uns könnte mit diesem durchdringengen Blick von der riesigen Leinwand in die Gemeinde blicken und Thema im Gottesdienst sein.

Ein Mensch wird über die Maßen erhöht an einem Ort, der in ganz besonderer Weise Verantwortung einfordert, was und wer hier erhöht und vielleicht sogar angebetet werden darf. Das ist immer wieder Thema – gerade auch in dieser Kirche. Mir scheint dieses Bild hier ist ein bisschen wie der Turmbau, damals in Babel, Babylon. Als man Gott näher kommen wollte. Als die Menschen sich zusammentaten und sich aufmachten in die Höhe – hin zu Gott.
Mal sehen, wann er sich zeigt. Mal sehen wie er den Menschen wohl begegnet, wenn sie ein Monument konstruieren, dass Himmel und Erde verbindet. Das Ende: Man hat Gott nicht gesehen.
Der Weg zu Gott, dass erzählt uns die Geschichte von Babel, führt offensichtlich nicht nach oben in die monumentalen menschlichen und himmlischen Höhen. Erhöhung ist die falsche Richtung, Erhöhung verstellt den Blick auf das Wesentliche. Und die Konsequenz ist klar: Eine Grosse Verwirrung der Sprache. Eine grundlegende Kommunikationsstörung und Verunsicherung bei den Menschen. Bis heute. Nicht nur dass wir unterschiedliche Sprachen auf der Welt sprechen, die das gegenseitige Verstehen erschweren, sondern auch dass unsere Ausdrucksformen, unsere Bau- oder Kunstwerke, unsere Bilder, unsere Inszenierungen vom Leben immer und grundsätzlich unterschiedlich interpretiert werden können. Was ist im Vordergrund, was im Hintergrund? Was ist das Ziel? Wo entlarvt sich eine Lüge? Was wird versteckt und verstellt?
Wir müssen sehr genau hinsehen und kommen doch oft nicht weiter. Was sehen wir? Und genauso bedeutend: Was sehen wir nicht, oder nicht mehr?
Auch er hier verstellt den Blick. Wer hier im Kirchenschiff sitzt, sieht nicht mehr das mittlere Kirchenfenster. Das uns in Bildern die Passionsgeschichte, die Leidensgeschichte von Jesus erzählt, die am Kreuz endet.
Das rückt, im wahrsten Sinne, in den Hintergrund.
Und das ist verwirrend: Durch menschliche Erhöhung tritt der Gedanke der Erniedrigung von Jesus in den Hintergrund.
Prächtige Farben und Monumentalität können den Blick verstellen in die Niederungen und Abgründe des Lebens.
Wir suchen weiter: Wo finden wir Gottes Nähe? Wo entdecken wir ein Gesicht, dass
uns menschlich begegnet?

Bernhard Busemann

Liebe Schwestern und Brüder

Wo finden wir Gottes Nähe? Wo kommt er uns entgegen?
Er da oben provoziert uns! Fordert uns heraus! Was sagst Du, was ist das wichtige in unserer Kirche! Was ist das, was letztendlich zählt. Nicht er ist wichtig, sondern die die er anschaut. Als Pilatus in der Passionsgeschichte den angeklagten Jesus dem Volk vorführt mit dem Satz: Seht, welch ein Mensch. Da ist auch die Bewegung eine auf die Menschen zu: was ist für Euch Jesus? Seht ihn an und entscheidet Euch! Wie wollt Ihr dazu stehen?
Und das Besondere ist und bleibt dabei auch die Blickrichtung und unsere Interpretation. Wir sehen jemanden und geben im Attribute, stellen ihm Eigenschaften an die Seite: schön, nett aussehend, der wirkt aber arrogant, die ist mir sympathisch, der macht aber einen komischen Eindruck. Auch bei Jesus sind wir dazu herausgefordert: Wer ist er für uns, für mich in meinem Leben: Ist er der Begleiter auf allen meinen Wegen? Ist er der Revoluzzer gegen alle ungerechten Strukturen? Ist er der friedliche, der dem Krieg die Schwerter zerbricht? Wahrer Mensch und wahrer Gott? Uns ganz nah und genauso ohnmächtig, wie wir oft? Oder ist er der ganz machtvolle, gegen den wir nichts sind, der uns alle in der Hand hält?

Er da oben provoziert uns und fordert uns heraus, was sagst Du? und wer bist Du?? Wir suchen unseren Standpunkt. Babylon Babies. Allein der Titel erzählt uns schon viel.
In der babylonischen Gefangenschaft ging es für das verschleppte Volk der Israeliten um die Neuorientierung. Sitzen wir nur an den Ufern Babylons und trauern??? DAMALS, nach der Zeit der Trauer, die ihren Ort hatte, fingen die Menschen an, ihren Glauben zu überdenken und Haltepunkte, Rettungsanker einzuziehen. Der Feiertag wurde mehr geehrt, es wurden verbindende Elemente unter den Menschen eingeführt. In der Verwirrung gibt es neue Orientierung. Und auch die 12 bis 17 jährigen Modelle der Babylon Babies sind Beispiele für die Suche nach Orientierung. In der Jugendzeit, der Pubertät wird gesucht nach dem eigenen Weg. Was ist für mich richtig, wo kann ich mitgehen, was gilt für mich? Im übertragenen Sinne sind wir vielleicht deswegen immer wieder Babylon Babies. Menschen, die Orientierung suchen, die schnell anderen Eigenschaften und Bewertungen zuschieben, aber eigentlich sich viel länger bei sich selber aufhalten könnten.

Bei all unseren unterschiedlichen Blickrichtungen, auch heute hier auf das Bild. Was verstellt mir den Blick, was eröffnet mir den Blick. Bei unserer Suche, wie komme ich Gott nahe, wie kann ich mir nahe bleiben. Bei all dieser Suche ist die Jahreslosung für dieses Jahr der Zuspruch und die Ermutigung: Ein Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Amen.

Frank Morgenstern